In der Filmwelt bin ich seit 2019 gelegentlich Komparse. Ich erlebe das als "Filmtourismus".
Die eigentliche Dreh-Crew kämpft sich derweil bis zum Verschleiß oft
monatelang durch das Drehbuch: Ein Tross, der je nach Herkunft der landesgebundenen Fördergelder auch schon mal zur fahrenden Truppe durch
mehrere Länder wird.
An jedem Werktag sind da einige Führungskräfte -
Regisseur, Kameramann, Ausleuchter, Tonmensch und Produktionsleiter - permanent konzentriert beschäftigt. Jeden Tag
stehen zahlreiche Hilfskräfte - Maske, Schauspieler, Verpflegung,
Organisation, Komparsen - viel Zeit ungenutzt herum, um bei Erfordernis von Regisseur
oder Produktionsleiter gerufen zu werden.
Gepäckstücke. Menschen, die im Herumstehen auch an Gepäckstücke
erinnern. Aber wir sind mit unserer Rolle einverstanden: Komparsen warten
auf ihren Einsatz als Fluggäste. Der Hauptdarsteller wird sich unter uns
mischen und ist quer durch den Film dann ein unschuldig Verdächtiger. Rechts
im Foto die Polizei ist, soweit ich mich
erinnere, echt, damit Waffen getragen werden dürfen. Und als ich mal auf
die Toilette gehe, wird mein Rollkoffer ausgerufen: Wem gehört der?
Bombenverdacht.
Auch ich als Komparse stehe erheblich herum zwischen
zumeist kurzen Einsätzen. Angenehmerweise aber nur einen oder zwei Tage.
Da kann ich mich umschauen in der Filmwelt, in der ich diesesmal als Komparse
gelandet bin. Ich meine vielfach schon erlebt zu haben:
1. Die Welt des Filmedrehens ist eine hoch eigene
Welt, die den ganzen Tag ausfüllt, die sich erheblich von der sonstigen
Welt unterscheidet und die für eine Weile eine andere Wirklichkeit
errichtet. Da gibt es
Wiederholungen der gleichen Handlung! Da gibt es manches Ausführen des
gleichen Ablaufs mit
kleinen Änderungen. Da gibt es schrittweise Filmspiel mit Pausen
dazwischen: Szene beendet! Da sind wir ein
bisschen Marionetten eines Drehbuchs. "Gott" winkt in dieser
Filmproduktions-Welt in Gestalt eines tatsächlich erdachten Drehbuchs, in
Form also von einer zugrundeliegenden Schöpfung. Die übliche Wirklichkeit
- ich rede von dem, was gerade abläuft, nix Film ey - hingegen wird von einem zentralen Drehbuchschreiber ja nie betreten.
Alle
versuchen nebeneinander ihr Drehbuch zu schreiben, und heraus kommt
Politik und Scheitern.
2. Die erzeugte Welt ist wirklich, solange wir
drehen. Ich bin die Rolle, die ich spiele. Ich bin
Unfallopfer und
Bettler, Rechtsanwalt und Partygast, Reporter und
Konzertbesucher. Ich
schaue mir als Komparse nicht einen Film an. Ich bin drin. Es ist sehr
anders da im Schöpfungsvorgang eines Filmes, als es später im Film sein
wird. Das Stattfinden des Drehens ist ein eigener anderer Film als das
Fertigprodukt. Im Filmdreh als Komparse oder auch
als umfangreich beschäftigter Schauspieler drin zu stehen, ist eine dritte
Form von Wirklichkeit - nicht physikalischer Alltag, nicht fiktiver Film,
sondern der anstrengende Zustand des Schöpfens, des Erschaffens, des
Erarbeitens einer Scheinwirklichkeit - eben des Kinofilms.
3. In die Rollen des Komparsen kann man sich kaum
einkaufen ...außer man ist Tochter oder Mutter des Regisseurs - diese
zwei
Sonderfälle habe ich bei "Dreigroschenfilm" (die Tochter spielte
mit, ohne dass der Komparsenregisseur gefragt wurde; er war etwas wütend
deshalb) bzw. "Tagundnachtgleiche"
(die Mutter der Regiefrau wurde von ihr mehrfach nach vorne geschoben -
"Mama, stell dich da hin und jetzt da") erlebt - das ist wohl in der Filmwelt vergleichbar damit, dass man in der
Wirklichkeit bei reichen Eltern geboren wird.
Man erleidet das
Schicksal eines Freiberuflers: Lange Phasen - Monate eigentlich immer, und
manchmal kann es ein Flaute-Jahr geben, und eigentlich jederzeit kann die
Auftragslage ganz zum Erliegen kommen - bleibt man ohne Ruf. Du musst
gerufen werden von einer Komparsen-Agentur. Und die reagieren nicht
sonderlich auf dein Betteln und Werben. Du musst dem Regisseur oder dem
Produktions-Assistenten oder wem auch immer aus der Filmtruppe zusagen, der
mit schnellem Blick durch einige Angebote der Agentur blättert.
4. Die Bezahlung als Komparse wird von der Besteuerung in
Deutschland vernichtet (Steuerklasse 6 Sofort-Abzug - das nenne ich "Diebstahl"). Aber andererseits ist man halt "Filmtourist", wird zumeist gut
verpflegt. Also in der Bilanz ist das Komparsendasein ein Hobby, das man
nach entsprechender Bewerbung ohne sonderliche Entlohnung gelegentlich geschenkt bekommt oder
eben auch nicht.
5. Ich mache hier als "Cäptn
Nemo" eine Liedfundgrube
draus. Ich liebe diese Filmszenen. Ich mag diese
Zwischenwelt
des Filmdrehens. Alles, was ich hier rot und fett gedruckt
habe, sind potentielle Lied-Titel :-) Mein Tagebuch als Komparse füllt sich schrittweise bis
zur Zufriedenheit. Die Reise darf bisher gern weiter gehen. |